W

1832
2005

Rechtswesen

Einleitung

Das Kapitel weist vier inhaltliche Schwerpunkte auf, nämlich erstens die Betreibungs- und Konkursstatistik, zweitens die Verurteiltenstatistik, drittens die Gefängnisstatistik und viertens die Patentstatistik. Diese Schwerpunkte haben sich hauptsächlich aufgrund der Datenlage ergeben; das Gewicht, das diesen vier Bereichen des Rechtswesens in Wirklichkeit zukommt, ist ein anderes. So würde die Verurteilten- oder Kriminalitätsstatistik sicherlich eine detailliertere Behandlung verdienen, während die Betreibungs- und Konkursstatistik und auch die Patentstatistik als Spezialgebiete der Justiz im Tabellenteil dieses Kapitels wohl eher ein wenig übervertreten sind.

Betreibungs- und Konkursstatistik 1908–1988

Die ersten zuverlässigen Betreibungs- und Konkurszahlen finden sich im Jahrgang 1917 des Statistischen Jahrbuchs der Schweiz, und zwar in Gestalt von bis ins Jahr 1908 zurück reichenden kantonalen Reihen. Da diese Statistik noch bis in die frühen 1930er Jahre hinein Lücken aufweist, liess sich die Bewegung der gesamtschweizerischen Kurve der Zahlungsbefehle, Pfändungen, Verwertungen und Konkurse in den 1910er und 20er Jahren nur mittels Hochrechnungen feststellen. In Anbetracht dessen, dass bereits ab 1909 für die meisten Kantone Betreibungs- und Konkursdaten vorliegen, halten wir die von uns durchgeführten Schätzungen für ziemlich zuverlässig. Im folgenden wird schematisch dargestellt, aus welchen Teilstücken sich die Schätzreihen jeweils zusammensetzen. Die generelle Verfahrensweise ist identisch mit der Schätzmethode, die wir in den Erläuterungen zum Tabellenteil des Kapitels C. («Ehe, Geburt und Tod») beschreiben.

Verwertung kantonaler Reihen zu gesamtschweizerischen Schätzreihen, nach Zeitabschnitten

TABELLEN EINFÜGEN

Für drei der vier von uns geschätzten Grössen geben wir die Entwicklung in den Kantonen bis zum Jahr 1988 an. Bei den Zahlungsbefehlen verzichten wir auf die Publikation einer nach Kantonen gegliederten Tabelle, weil die Kenntnis dieser Grösse im allgemeinen nicht von speziellem Nutzen ist (vgl. Julius Wyler: Die schweizerische Betreibungs- und Konkursstatistik. In: Zeitschrift für schweizerische Statistik und Volkswirtschaft, Bd. 1919, S. 31).

Verurteiltenstatistik 1853–1986

Eine eidgenössische Verurteiltenstatistik existiert für das 19. und frühe 20. Jahrhundert nicht. Partiell wäre sie jedoch möglicherweise rekonstruierbar, sofern eine ausreichend grosse Zahl von kantonalen Statistiken sichergestellt werden könnte. Die entsprechenden Tabellen dürften am ehesten in den Regierungsratsberichten und in den Geschäftsberichten der Obergerichte einzelner Kantone auffindbar sein.
Für den Kanton Zürich liegt eine weit ins 19. Jahrhundert zurück reichende Verurteiltenstatistik bereits vor: An der Forschungsstelle für schweizerische Sozial- und Wirtschaftsgeschichte hat Erich Otto Graf unter Berücksichtigung der Vorarbeiten von Emil Sträuli und Ervin Hacker und der Angaben in den Rechenschaftsberichten des Regierungsrats und in den Geschäftsberichten des Obergerichts einen Set von Langzeitreihen zusammengestellt, der den gesamten Zeitraum zwischen 1853 und 1936 abdeckt. Einschränkend muss zu dieser Statistik angemerkt werden, dass sie erst ab 1867 eine homogene Struktur aufweist; in den vorangegangenen Jahren sind lediglich die von den Schwur- und Bezirksgerichten, nicht aber die von den Kreisgerichten verurteilten Personen zahlenmässig erfasst worden. Zusätzliche Informationen zur Entwicklung der Kriminalität im Kanton Zürich im 19. Jahrhundert können der am Historischen Institut der Universität Zürich verfassten Lizentiatsarbeit Claude Weills entnommen werden. Sie bietet einen faszinierenden Einblick in die Welt der Straftaten, Prozesse und Gerichtsurteile im Zeitalter des Pauperismus. Da indessen die in dieser Untersuchung für die 1830er, 40er und 50er Jahre vorgelegten Statistiken alles in allem einen doch recht spezifischen Charakter aufweisen, haben wir sie nicht in die vorliegende Publikation aufgenommen. Auf nationaler Ebene sind erstmals 1906 und in den Jahren 1909–1911 Versuche unternommen worden, mit Hilfe der kantonalen Verurteiltenzahlen eine eidgenössische Verurteiltenstatistik zu erstellen. Obwohl diese Versuche nicht eigentlich fehlgeschlagen sind, verstrichen weitere anderthalb Jahrzehnte, bis dann am Vorabend der Grossen Depression die erste eidgenössische Kriminalstatistik der Öffentlichkeit vorgestellt werden konnte. Es ist unklar, weshalb dieser Veröffentlichung aus dem Jahr 1929 bis zum Jahr 1946 keine weiteren gefolgt sind. Glücklicherweise sind die Hauptresultate der vom Eidgenössischen Statistischen Amt in den 1930er und in der ersten Hälfte der 1940er Jahre veranlassten Erhebungen auch im Statistischen Jahrbuch der Schweiz abgedruckt worden. Auch die Entwicklung in den nachfolgenden zwei Jahrzehnten wird von uns anhand der im Statistischen Jahrbuch vorgefundenen Übersichten dargestellt; die zwischen 1946 und 1965 von amtlicher Seite herausgegebenen kriminalstatistischen Hefte sind nämlich vergriffen. Ab 1966 konnte dann auf die Serie «Statistische Quellenwerke der Schweiz» zurückgegriffen werden, die eine bis 1984 durchgehende, zunächst mit «Schweizerische Kriminalstatistik» und seit 1969 mit «Die Strafurteile in der Schweiz» überschriebene Reihe enthält.
Bereits für die Jahre 1906, 1909–1911 und 1929 existieren nach Kantonen gegliederte Verurteiltentabellen. Wir leiten diese Angaben unverändert weiter, verweisen jedoch mit Nachdruck darauf, dass sie bis zum Jahr 1942 nur sehr bedingt einer Interpretation zugänglich sind. Zu Recht hat das Eidgenössische Statistische Amt anlässlich der Herausgabe der ersten gesamtschweizerischen amtlichen Verurteiltenstatistik festgehalten: «Das Fehlen einer allgemeinen Kriminalitätsziffer für die Kantone ist insofern nicht sehr bedauerlich, als diese Relativzahlen in irriger Weise gedeutet und deren Unterschiede auf die Moral der Bevölkerung in den einzelnen Kantonen zurückgeführt werden könnten, während sie vielfach auf einer Verschiedenheit der Abgrenzung zwischen Verbrechen ruhen. Ferner spielen die Unterschiede der Strafmessung eine Rolle» (Einleitung zur Schweizerischen Kriminalstatistik von 1929, S. 7). Vollumfänglich untereinander vergleichbar sind die kantonalen Statistiken erst, seitdem die Rechtsprechung in sämtlichen Kantonen den Vorschriften entspricht, die im schweizerischen Strafgesetzbuch stehen. Der für die kantonalen Gerichte verbindliche Kodex, der unter anderem die definitive Abschaffung der Todesstrafe für nichtmilitärische Vergehen festschreibt, konnte 1942 in Kraft treten, nachdem er vier Jahre zuvor in einer Volksabstimmung gutgeheissen worden war. In den nachfolgenden Jahrzehnten wurde er mehreren Teilrevisionen unterzogen.
Neben der eigentlichen Verurteiltenstatistik präsentieren wir im Tabellenteil dieses Kapitels auch sogenannte Kriminalitätsziffern. Bei dieser im Statistischen Jahrbuch der Schweiz für die Jahre 1942–1973 ausgewiesenen juristischen Kennzahl handelt es sich um auf die strafmündige Bevölkerung bezogenen Verurteilten, wobei nach dem Geschlecht der Delinquenten und der jeweiligen Vergehensart unterschieden worden ist. Diese Relativzahlen sind von uns zu Mehrjahresmittelwerten umgerechnet worden. Analog sind wir mit drei weiteren Statistiken verfahren, die über die neuen Urteilsauszüge des – vom schweizerischen Zentralpolizeibüro und den Kantonen geführten – Zentralstrafenregisters, die vom Bundesgericht erledigten Streitsachen und die Zahl der entzogenen Führerausweise unterrichten.

Gefängnisstatistik 1890–1941

Kann von einer homogen zusammengesetzten gesamtschweizerischen Verurteiltenstatistik erst ab 1942 gesprochen werden, so verhält sich die Situation bei der Gefängnisstatistik gerade umgekehrt. In der Tat ist für die Gefängnisse die Zahl der jährlichen Ein- und Austritte und der jeweilige Endbestand der Insassen auf Kantonsebene seit 1890 dokumentiert. Freilich gilt es bei dieser Statistik zu beachten, dass ein bestimmter Prozentsatz der verurteilten wie auch der nicht verurteilten Personen innerhalb eines Jahres die Gefängnisse verschiedener Kantone von innen kennengelernt haben dürfte und demzufolge im Gesamttotal auch mehrfach vorkommt. Dennoch vermitteln diese Zählungen interessante Aufschlüsse über die Bewegung der schweizerischen Gefängnisbevölkerung während eines längeren und bewegten Zeitabschnitts. Mit der Einführung des schweizerischen Strafgesetzbuches hört dann die Berichterstattung des Statistischen Jahrbuchs über den kantonsweisen Bestand der Gefängnisinsassen abrupt auf. Da die eidgenössische Kriminalstatistik überhaupt keine Informationen zum Gefängniswesen vermittelt, sehen wir uns ausserstande, den Überblick über die Entwicklung dieses Segments der schweizerischen Bevölkerung über das Jahr 1941 hinaus fortzusetzen.

Patentstatistik 1891–1977

Das Bundesamt für geistiges Eigentum wurde am 15. November 1888 ins Leben gerufen. Das Amt publiziert seither jährlich statistische Übersichten, die von uns an Ort und Stelle eingesehen werden konnten. Im Statistischen Jahrbuch der Schweiz sind seit 1917 die verlangten und die vom Amt erteilten Haupt- und Zusatzpatente, die Eintragungen von Fabrik- und Handelsmarken in das nationale und internationale Markenregister und die hinterlegten Muster und Modelle angegeben. Die erteilten Patente sind überdies nach den wichtigsten Herkunftsländern der Inhaber aufgeschlüsselt worden, wobei auch die Entwicklung in früheren Jahren Berücksichtigung fand. Zwischen 1917 und 1952 orientiert das Statistische Jahrbuch ausserdem über die Herkunftsländer der Gesuchsteller und über die jeweilige Warenklasse und das jeweilige Herkunftsland der eingetragenen Fabrik- und Handelsmarken. Im amtlichen Publikationsorgan des Bundesamtes für geistiges Eigentum (seit 1988 «Schweizerisches Patent-, Muster- und Markenblatt») finden sich merkwürdigerweise keine derart detaillierten Tabellen. Auch die aus Anlass des 100jährigen Bestehens des Bundesamtes für geistiges Eigentum im Oktober 1988 herausgegebene Sondernummer dieser Broschüre enthält keine nach Ländern und Warenklassen untergliederte Langzeitreihen, so dass wir uns damit begnügen mussten, die in den Jahrgängen 1901 und 1917–1952 des Statistischen Jahrbuchs abgedruckten Informationen zu aussagekräftigen Übersichten zu verarbeiten. Andererseits haben wir es nicht für notwendig befunden, die vom Bundesamt für geistiges Eigentum veröffentlichten Angaben zu den zurückgewiesenen und zurückgezogenen Patentgesuchen, zu den erneuerten und gelöschten Patenten, zu den Schutzperioden der Muster und Modelle und zur Lebensdauer der Hauptpatente in die «Historische Statistik der Schweiz» zu integrieren. Ebenso glauben wir darauf verzichten zu können, die Patentstatistik über das Jahr 1977 hinaus zu verlängern. Für diese Entscheidung waren zwei Gründe massgebend: Erstens ist 1978 auf dem Gebiet des Patentwesens mit der Gründung des europäischen Patentamtes gleichsam eine neue Epoche angebrochen, und zweitens lässt sich die seitherige Entwicklung, sieht man von der fehlenden Länder- und Branchenuntergliederung ab, vergleichsweise bequem anhand der im «Schweizerischen Patent-, Muster- und Markenblatt» publizierten Zahlen verfolgen.

QUELLE: «Rechtswesen » in Ritzmann/Siegenthaler, Historische Statistik der Schweiz, Zürich: Chronos, 1996, 1013-1017


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