Einleitung
Bei der Wanderungsstatistik hat man es mit einem komplexeren Sachgebiet zu tun, als es auf den ersten Blick den Anschein machen könnte. Die Schwierigkeiten beginnen bereits beim Versuch, den «homo migrans» begrifflich zu erfassen. Wann kann überhaupt von einer Wanderung gesprochen werden? Lässt sich der Umzug von einem Stadtquartier in ein anderes auf eine Ebene mit der klassischen Überseeauswanderung des 19. Jahrhunderts stellen, die im Planwagen, mit der Eisenbahn, auf Flussbooten, Segelschiffen und Ozeandampfern erfolgte und die häufig auch Fussmärsche über gewaltige Distanzen hinweg implizierte? Ist es legitim, einen vorübergehenden Wechsel des Wohnsitzes der gleichen Kategorie von Bevölkerungsbewegungen zuzurechnen wie langfristige und definitive Wegzüge? Dürfen Saisonwanderungen ins benachbarte Ausland unbesehen der Aussenwanderung zugeschlagen werden? Inwieweit können Pendler als Migranten gelten? Ist die stufenweise Migration – etwa diejenige von der Klettgauer Gemeinde Osterfingen über die Städte Schaffhausen, Zürich und New York nach dem Flecken Curtis im amerikanischen Bundesstaat Nebraska – als Wanderungstyp sui generis oder aber als eine aus mehreren Wanderungsprozessen zusammengesetzte demographische Bewegung zu interpretieren? Der mit der Tücke hochaggregierter Statistiken vertraute Migrationshistoriker wird laufend mit solchen Problemen konfrontiert, die er meist nur so lösen kann, dass er willkürliche definitorische Zuordnungen vornimmt. Vor ähnlichen, wenn nicht sogar exakt denselben Schwierigkeiten standen indessen seinerzeit auch jene Beamten, die mit der Aufgabe betraut worden waren, das bei den Behörden eingetroffene Primärdatenmaterial zu sichten und zu klassifizieren. Wer dem nachfolgenden Tabellenteil Zahlen entnimmt, sollte sich dieses Umstandes bewusst sein.
Da jährliche kantonale Aussen- und Binnenwanderungsstatistiken erst von den frühen 1980er Jahren an vorliegen, haben wir auf die Abbildung dieser Reihen verzichtet. Statt dessen berücksichtigen wir einen Teil der sehr viel früher einsetzenden städtischen Wanderungs- und Einbürgerungsstatistik. Am weitesten zurück und am genauesten dokumentiert ist die Entwicklung in der Stadt Zürich und im Kanton Basel-Stadt. Dies hat uns dazu bewogen, unsere Darstellung der Wanderungen und Einbürgerungen in den grösseren Städten im wesentlichen auf Zürich und Basel zu begrenzen. Es muss aber darauf hingewiesen werden, dass auch die statistischen Jahrbücher der Städte Bern, St. Gallen und Genf solche Daten enthalten.
Das statistische Bild der schweizerischen Überseemigration im Zeitraum 1816–1939 ist Gegenstand der Dissertation von H. Ritzmann-Blickenstorfer. Da diese Untersuchung ausführlich über Herkunft, Reichweite und Qualität des Datenmaterials informiert, werden nachstehend keine Angaben zur Quellenlage gemacht. Ebensowenig bedürfen die Schätzungen Ritzmann-Blickenstorfers an dieser Stelle einer zusätzlichen Kommentierung.
Hinsichtlich der Statistik der im Ausland niedergelassenen Schweizer ist zu beachten, dass die Zeiträume 1850–1910, 1926–1950 und 1951–1992 nur bedingt miteinander vergleichbar sind. So rührt z. B. der massive Rückgang der Zahl der in den Vereinigten Staaten lebenden Schweizer zwischen 1910 und 1926 in erster Linie daher, dass der amerikanische Census von 1910 sämtliche in der Schweiz geborenen Personen berücksichtigt, während die Erhebung von 1926 grösstenteils auf einer Zählung der bei den Gesandtschaften und Konsulaten immatrikulierten Schweizer basiert. Allgemein sollte davon ausgegangen werden, dass die Zählungen der Vorweltkriegszeit bestenfalls Annäherungswerte liefern.
Bei einer vergleichenden Interpretation der Einbürgerungszahlen ist in Rechnung zu stellen, dass sich die schweizerische Einbürgerungspraxis nicht unwesentlich von derjenigen anderer Länder unterscheidet und innerhalb der Schweiz die Bedingungen für eine Aufnahme ins Bürgerrecht von Gemeinde zu Gemeinde stark voneinander abzuweichen pflegen.