Einleitung
Von ihrer thematischen Zugehörigkeit her lassen sich die Tabellen dieses Kapitels in zwei Blöcke einteilen, von denen der erste die Produktion und der zweite die Produktionsverhältnisse zum Gegenstand hat.
Produktion und Wertschöpfung
Eine den Publikationen des schweizerischen Bauernsekretariats vergleichbare amtliche Produktions- und Wertschöpfungsstatistik existiert für den Zweiten Sektor nicht. Gleichwohl besteht die Möglichkeit, die Entwicklung der industriellen Produktion in der Schweiz während der letzten anderthalb Jahrhunderte einigermassen zuverlässig zu rekonstruieren. Die branchenmässige Wertschöpfung ist bereits vor einiger Zeit an der Forschungsstelle für schweizerische Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Universität Zürich für den Zeitraum 1851–1913 und am St. Galler Zentrum für Zukunftsforschung für die Jahre 1960–1990 retrospektiv geschätzt worden. Im Rahmen eines weiteren Projektes, das die Zürcher Forschungsstelle plant, soll die Wertschöpfung grösserer Branchen im Zeitraum 1910–1960 berechnet werden.
Trotz des weitgehenden Fehlens von Produktionsdaten für die Kernbranchen der schweizerischen Industrie bemühte sich das Eidgenössische Statistische Amt schon Mitte der 1920er Jahre darum, den Konjunkturpfad der schweizerischen Industrie durch Teilerhebungen auf der Ebene der Betriebe zu erfassen. Das Verfahren bestand darin, dass die Betriebsinhaber gebeten wurden, «eine subjektive Bewertung der Beschäftigungslage» vorzunehmen, indem sie «Wissensurteile in Form der Rangbezeichnungen gut, befriedigend, schlecht und unbestimmt» abgaben (Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit: Handbuch der schweizerischen Sozialstatistik 1932–1971). Die von den Betriebsleitern vorgenommenen Bewertungen wurden vom Eidgenössischen Statistischen Amt und später vom Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (BIGA) nach Branchen klassifiziert und zu sogenannten Lagebeurteilungsziffern verarbeitet. Das BIGA ist dieser Praxis noch bis zum Jahr 1968 treu geblieben, hat allerdings bereits 1958 damit begonnen, von Verbänden aggregiertes Zahlenmaterial zu beziehen und direkte Erhebungen durchzuführen, deren Resultate im Statistischen Jahrbuch der Schweiz veröffentlicht wurden. Den Gesamtindex – den «Index der schweizerischen Industrieproduktion» – berechnete das Amt, indem es für ein bestimmtes Jahr (1964) das absolute Gewicht der einzelnen Branchen am Nettoproduktionswert der Industrieproduktion schätzte und die Prozentanteile, mit denen die Branchen an der Gesamtproduktion partizipierten, auf die vorangegangenen und nachfolgenden Jahre übertrug.
In jüngster Zeit hat Thomas David den Versuch unternommen, auch für frühere Jahrzehnte solche Indexreihen zu generieren. Davids nach Branchen gegliederte Schätzung der Bewegung der schweizerischen Industrieproduktion erstreckt sich über den an dramatischen Einschnitten reichen Zeitabschnitt 1914–1945. Ein weiteres Bündel von Schätzreihen zur Produktion und zur Wertschöpfung der Branchen des Zweiten Sektors stammt aus der Werkstatt der Forschungsstelle für schweizerische Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Universität Zürich und deckt den Zeitraum 1851–1913 ab. In erster Linie sind es die Ergebnisse der Arbeiten von Peter Dudzik, Jutta Schwarz, Michael Bernegger und Erich Projer, die wir im Tabellenteil dieses Kapitels vorlegen. Der letztgenannte Beitrag darf als vorläufige Schlussbilanz gewertet werden, hat Projer doch, teils gestützt auf die Ergebnisse der Untersuchungen von Dudzik, Schwarz und Bernegger, teils aufgrund eigener Quellenstudien, für den gesamten Zeitraum 1851–1913 die jährliche nominale Wertschöpfung des industriellen Sektors ermittelt. Obwohl es sich bei dieser Schätzung um eine Hochrechnung handelt – Produktion und Wertschöpfung einiger wichtiger Branchen, insbesondere diejenige der Strohgeflechtsindustrie, die in den 1850er Jahren noch eine gewisse Rolle gespielt hat, und diejenige der um die Jahrhundertwende stark expandierenden chemischen Industrie mussten unberücksichtigt gelassen werden – halten wir sie für qualitativ hochwertig, reflektiert sie doch die Entwicklung nicht nur in den Hauptbranchen der Nahrungsmittel-, Bekleidungs- und Textilindustrie, sondern auch in der Metall- und Maschinenindustrie, im Baugewerbe und in der Uhrenindustrie.
An dieser Stelle erscheint es angebracht, die von Projer gewählten Schätzmethoden kurz zusammenzufassen. In der Regel ermittelte Projer für eine bestimmte Branche zuerst den Bruttoproduktionswert. Um diesen berechnen zu können, benötigte er einerseits physische Produktionsreihen oder aber Produktionsindikatoren in Gestalt von Mengenindizes, die über das Gewicht der Exporte und das Volumen der Vorleistungen unterrichten. Um eine Bewertung der Produktionsreihen vornehmen zu können, standen ihm die Grosshandelspreisindizes zur Verfügung, die er in einer früheren Untersuchung konstruiert hatte. Anhand von zeitgenössischen Angaben über die wertmässige Produktion in bestimmten Jahren transformierte Projer diese Indizes zu durchgängigen absoluten Wertreihen. Die Wertschöpfung der von ihm in die Schätzung miteinbezogenen Branchen bestimmte er, indem er in Abhängigkeit von der jeweiligen Quellenlage entweder aus Unternehmensdaten wie Umsatz, Lohnsumme, Gewinn, Abschreibungen und Zinsen oder dann aus dem Verhältnis zwischen Input- und Outputpreisen eine auf den Bruttoproduktionswert bezogene Grösse, die Quote der Bruttowertschöpfung, errechnete. Diese Vorgehensweise impliziert freilich die nicht ganz unproblematische Annahme, dass die Relationen zwischen Input und Output über den ganzen beobachteten Zeitraum hinweg konstant geblieben sind. Ausserdem wird unterstellt, dass die Effekte der Lagerhaltung auf die Unternehmensgewinne vernachlässigbar klein waren.
Bei der Stickerei setzt sich die von Projer ausgewiesene Wertschöpfungsreihe aus der Wertschöpfung der im Inland produzierten und den Gewinnen aus dem im grenzüberschreitenden Veredelungsverkehr hergestellten Erzeugnissen zusammen. Dass Projer infolge fehlender Statistiken davon Abstand nehmen musste, die Wertschöpfung der Stickerei für die 1850er und die frühen und fortgeschrittenen 1860er Jahre zu schätzen, kann nicht allzu schwer ins Gewicht fallen, setzte der Take-off der schweizerischen Stickereiindustrie doch erst in den 1870er Jahren ein.
Bei der Bestimmung der physischen Produktion in der Metallindustrie hat Projer an die Schätzungen von Schwarz anknüpfen können. Für die Maschinenindustrie musste er hingegen einen eigenen Produktionsmengenindex konstruieren. Da der Begriff der «Maschine» eine Vielzahl inhomogener Güter umfasst, liessen sich die Produktionswerte dieser Branche über das physische Gewicht der Produktion und den durchschnittlichen Preis der Maschinen nicht mit derselben Genauigkeit bestimmen, wie dies beispielsweise bei den Baumwolltüchern möglich war. Mit derselben Problematik wurde Projer bei der Berechnung des Bruttoproduktionswerts und der Wertschöpfung der Uhrenindustrie konfrontiert. Soweit es den Zeitraum 1851–1885 betrifft, für den nur die Menge, nicht aber der bis auf wenige Prozent mit dem Produktionswert identische Exportwert der Uhren bekannt ist, taxiert Projer seine Schätzreihen denn auch selbstkritisch als «vage, sicher verbesserungsfähig» (Projer 1989). Doch zeichnen sich diese Schätzungen immerhin dadurch aus, dass sie mit der Beurteilung der Konjunktur in der Uhrenbranche durch zeitgenössische Beobachter nicht im Widerspruch stehen.
Zu einer Hochrechnung der schweizerischen Industrieproduktion gelangte Projer, indem er die Wertschöpfung der von ihm nicht berücksichtigten Brachen anhand von Angaben aus der zeitgenössischen Literatur für einzelne Jahre schätzte und diese punktuellen Schätzungen mit den für die jeweilige Branche ausgewiesenen Beschäftigungszahlen gewichtete. Um eine Langzeitreihe zu erhalten, summierte er die auf Branchenebene berechneten Wertschöpfungsreihen, transformierte die Aggregatsgrösse zu einem Index und verband mit diesem Bewegungsindikator die von ihm für einzelne Jahre geschätzten absoluten Werte der Wertschöpfung der Restbranchen.
Die Wertschöpfung der Käseproduktion ist von uns parallel zur Berechnung der Wertschöpfung der Milchproduktion ermittelt worden. Ausgangspunkt dieser Schätzung bildeten die vom Eidgenössischen Statistischen Amt publizierten Resultate der Viehzählungen von 1866, 1896 und 1911, die auch Angaben zum Stand der Käseproduktion und zu den in den Käsereien verarbeiteten Milchmengen (Käsereimilch) im jeweiligen Erhebungsjahr enthalten. Um die Menge der Käsereimilch auf Landesebene bestimmen zu können, haben wir auf kantonale Käsereimilch- und Käseproduktionsreihen zurückgreifen müssen. Daneben wurden aber auch die Bewegung der von Thomas Steiger geschätzten schweizerischen Gesamtmilchproduktion und die Käseexportstatistik, die seit 1851 über die ausgeführten Käsemengen und seit 1885 auch über deren Wert informiert, in die Schätzung miteinbezogen. Bei der Butter- und Kondensmilchproduktion mussten wir es dabei belassen, den Bruttoproduktionswert zu ermitteln. Die Wertschöpfung liess sich für diese Bereiche der Molkereiproduktion nicht schätzen, weil erst seit 1921 eine gesamtschweizerische Jahresstatistik der technisch verarbeiteten Milchmengen vorliegt, in der zwischen verschiedenen Verwertungsformen unterschieden wird, und weil für das 19. und frühe 20. Jahrhundert nur ganz wenige kantonale Reihen überliefert sind, die Angaben über die für die Butter- und Kondensmilchproduktion benötigten Milchmengen machen.
Im weiteren haben wir auch noch eine Grobschätzung der Salzfabrikation und der Produktion in den übrigen Montanindustrien vorgenommen. (In der amtlichen Beschäftigungsstatistik der Schweiz ist der Bergbau lange Zeit unter die Branchen des Ersten Sektors eingereiht worden; seit ungefähr einem halben Jahrhundert wird er jedoch dem Zweiten Sektor zugerechnet).
Da Projer seine Wertschöpfungsschätzungen nur zu einem Teil auf Produktionserhebungen abstützen konnte, vermochte er das Gesamtvolumen der industriellen Produktion nicht zu bestimmen. Trotzdem – oder vielleicht auch gerade deswegen – ist es von Interesse, den Verlauf der Produktion in einzelnen Branchen des Zweiten Sektors zu kennen. Aus diesem Grund haben wir die von Projer geschätzten oder von anderer Seite her übernommenen absoluten Produktionszahlen und einige der im Anhang von Berneggers Lizentiatsarbeit abgedruckten Indizes und Indikatoren ebenfalls in dieses Kapitel aufgenommen.
Besondere Erwähnung verdienen die in der Dissertation von Schwarz über die schweizerischen Bruttoanlageinvestitionen im Zeitraum 1850–1914 abgedruckten Zahlen zur Metallverarbeitung in der Schweiz. Um die wichtigste ihrer Zielgrössen, die Menge der in der Schweiz hergestellten Ausrüstungsgüter, rekonstruieren zu können, hat Schwarz ein dreistufiges Modell entworfen, das die Verarbeitung des teils im Inland produzierten, teils aus dem Ausland importierten Metalls zu Guss-, Walz-, Zieh- und Schmiedeprodukten darstellt. Auf dieser Grundlage ist Schwarz eine Schätzung der Aufgliederung des Metallverbrauchs nach Verwendungszwecken geglückt. Bringt man in diesem Schema die entsprechenden Grössen voneinander in Abzug, erhält man als Saldogrösse die Menge der in der Schweiz hergestellten Ausrüstungsgüter.
Eidgenössische Fabrikstatistiken und gewerbliche Betriebszählungen
Aus dem Ancien régime sind bloss vereinzelte Angaben über das Fabrikwesen überliefert, die sich schlecht in die vorliegende Publikation integrieren liessen (vgl. Ulrich Pfister: Die Zürcher Fabriques. Protoindustrielles Wachstum vom 16. zum 18. Jahrhundert. Zürich 1993). Was Peter Dudzik im Rahmen seiner bahnbrechenden Untersuchung über die Modernisierung der schweizerischen Baumwollindustrie an Statistiken zum Maschinenbestand, zur Zahl der Betriebe und zur Beschäftigungslage in dieser Branche zusammengetragen hat, ist von uns dagegen grösstenteils für kompilationswürdig befunden worden.
Die amtliche Fabrikstatistik der Schweiz deckt den Zeitraum 1882–1965 ab. Nachdem am 23. März 1877 das schweizerische Fabrikgesetz in Kraft getreten war, entstand zu Beginn der 1880er Jahre unter massgeblicher Beteiligung der Fabrikinspektoren die erste nach Kantonen und Branchen gegliederte Statistik der diesem Gesetz unterstellten Betriebe und Beschäftigten. Weitere Erhebungen datieren aus den Jahren 1885, 1888, 1895, 1901, 1911, 1923, 1929, 1937, 1944 und 1949. Aus historisch-statistischer Sicht gebührt den Fabrikstatistiken von 1929, 1937, 1944 und 1949 das Prädikat «besonders wertvoll», denn in diesen vier Bänden, die mit einer Fülle von Detailauskünften aufwarten, stösst man auch auf eine Reihe von Tabellen, in denen die Ergebnisse früherer Erhebungen den Ergebnissen der jeweils gerade abgeschlossenen Erhebung gegenübergestellt werden. Im Zeitraum 1945–1965 ist zwar Jahr für Jahr die Bestandesveränderung bei den Fabriken und beim Fabrikpersonal festgehalten worden; im übrigen aber enthalten die in den ersten beiden Nachweltkriegsjahrzehnten in der «Volkswirtschaft» und im Statistischen Jahrbuch der Schweiz abgedruckten Übersichten zur Situation in der schweizerischen Fabrikindustrie nicht mehr annähernd so viel an statistischem Material wie die vom Eidgenössischen Statistischen Amt herausgegebenen Publikationen der Jahre 1929, 1937, 1944 und 1949.
Inwieweit sind die einzelnen Fabrikstatistiken überhaupt untereinander vergleichbar? Sie sind es sicherlich insofern, als stets ausschliesslich die dem Eidgenössischen Fabrikgesetz vom 23. März 1877 unterstellten Betriebe und deren Personal erfasst worden sind. Zu den Zählungen von 1882, 1885 und 1888 ist allerdings anzumerken, dass sie zu einer Zeit vorgenommen wurden, in der sich die Fachleute noch nicht darüber einig waren, was man unter einer «Fabrik» konkret zu verstehen hatte. Eine – in der Praxis offenbar flexibel gehandhabte – Regel besagte, dass erst dann von einer Fabrik gesprochen werden könne, wenn in einem Betrieb ohne Motoren mindestens 25 Personen beschäftigt würden. Bei Betrieben mit Motoren wurde die Limite bei zehn Beschäftigten angesetzt. Erst 1895 hat das Eidgenössische Statistische Amt den Gegenstand der Erhebung präziser umschrieben: Als «Fabrik» wurde nunmehr jeder gewerbliche Betrieb bezeichnet, der entweder mehr als zehn Arbeiter umfasste oder dann «sechs oder mehr Arbeiter, sofern mindestens ein Jugendlicher mitarbeitet, Motoren vorhanden sind oder Gefahren für die Gesundheit bestünden» (Gruner und Wiedmer 1987, Bd. I).
Im Tabellenteil dieses Kapitels wird primär die Entwicklung im Zeitraum 1895–1965 dargestellt. Als Hauptquelle dienten uns die Fabrikstatistiken der Jahre 1929, 1944 und 1949; was die Verhältnisse in der Textilindustrie im Zeitraum 1911–1955 betrifft, konnte darüber hinaus auch das Zahlenmaterial berücksichtigt werden, das in einer Ende der 1950er Jahre vom Schweizerischen Institut für Aussenwirtschafts- und Marktforschung an der Handels-Hochschule St. Gallen in Auftrag gegebenen Studie abgedruckt worden ist. Ergänzende Angaben für die Jahre 1960 und 1962 liessen sich der Dissertation von Lukas Geiges über die Strukturwandlungen in der schweizerischen Textilindustrie entnehmen. Gleichwohl war noch eine erhebliche Zusatzarbeit zu leisten, bis das Ziel einer kantonal gegliederten Gesamtübersicht der Betriebs- und Beschäftigtenzahlen in den wichtigsten Branchen der Textilindustrie zwischen 1895 und 1965 erreicht war. Als weit aufwendiger erwies sich der Versuch, auch für die anderen grossen Branchen des Zweiten Sektors – Nahrungsmittel, Bekleidung, Chemie, Buchdruckerei, Holzbearbeitung, Industrie der Steine und Erden, Metallgewerbe, Maschinenbau und Uhrenindustrie – eine entsprechende Übersicht zu erstellen. Die historischen Tabellen in den Fabrikstatistiken von 1929, 1937, 1944 und 1949 geben nämlich nur auf Landesebene, nicht aber für die einzelnen Kantone Auskunft über die Zahl der dem Fabrikgesetz unterstellten Betriebe und der Beschäftigten in den Jahren 1895, 1911 und 1923. Die Fabrikstatistiken dieser frühen Jahre wiederum bieten keine sowohl nach Branchen als auch nach Kantonen gegliederten Zusammenfassungen, wie man sie in den Publikationen von 1929, 1937, 1944 und 1949 vorfindet. Hinzu kam, dass das Schema der persönlichen Berufe zwischen 1895 und 1929 verschiedene Änderungen erfahren hat, so dass es sich schlicht verbot, die für die Branchen ausgewiesenen Summenwerte ungeprüft zu übernehmen. Um die «richtigen» Zahlen zu erhalten, mussten die Bände der Fabrikstatistiken von 1895, 1911 und 1923 vielmehr systematisch, d. h. von Kanton zu Kanton und von Branche zu Branche, durchgearbeitet werden. Nicht viel weniger Aufwand kostete es uns, die in der Zählung von 1929 auf Branchenebene bis zur allerersten Fabrikstatistik zurück dokumentierten Angaben über die Zahl der Fabrikbetriebe und die vom Fabrikgesetz erfassten Arbeiter und Angestellten, bei denen zusätzlich noch nach Geschlecht, Alter und Nationalität unterschieden worden ist, zu ergänzen, indem in jedem einzelnen der von uns konsultierten statistischen Quellenwerke nachgesehen wurde, wie die Ergebnisse der Erhebungen in bestimmten Subbranchen, beispielsweise in der Tabakindustrie, in der Baumwollspinnerei und in der Bijouterie, ausgesehen haben. Wir glauben indessen, dass solche Informationen entscheidend dazu beitragen können, dass wir zu einem besseren Verständnis der Transformationsprozesse gelangen, denen die schweizerischen Fabriken und ihr Personal in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts ausgesetzt waren.
In auffälliger Analogie nicht nur zur Beschäftigungsstatistik, sondern auch zur Statistik der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und zur Aussenhandelsstatistik wurde die Fabrikstatistik im Verlauf der 1960er Jahre dermassen radikal umgestaltet, dass bei Vergleichen zwischen den vor und nach dieser Zäsur vorgenommenen Zählungen grösste Zurückhaltung angebracht ist. Was die 1965 erfolgte Umbenennung der Fabrikstatistik in «Industriestatistik» in inhaltlicher Hinsicht bedeutete, ist 1967 in der Juliausgabe der Monatszeitschrift «Die Volkswirtschaft» ausführlich dargelegt worden. Angesichts der fundamentalen Differenzen zwischen der Fabrik- und der Industriestatistik halten wir es für zwingend, die Ergebnisse der jährlichen Zählungen der Industriebetriebe und der in den Industriebetrieben beschäftigten Arbeiter und Angestellten im Zeitraum 1966–1986 durch einen deutlichen Trennstrich von den Ergebnissen der im Zeitraum 1882–1965 durchgeführten Zählungen der Fabriken und des Fabrikpersonals abzugrenzen.
Nun lassen sich die Veränderungen, denen der Zweite Sektor in der Schweiz während der letzten 90 Jahre ausgesetzt war, noch anhand einer weiteren Quelle studieren: den seit 1905 vom Eidgenössischen Statistischen Amt parallel zu den Erhebungen über die Landwirtschaftsbetriebe veranlassten gewerblichen Betriebszählungen. Doch auch in diesem Fall ist die Vergleichbarkeit zwischen den Resultaten der verschiedenen Erhebungen alles andere als gegeben. Sie muss erst hergestellt werden, und zwar dadurch, dass man das gesamte Zahlenmaterial einer einheitlichen Nomenklatur unterwirft. In seiner Dissertation «Unternehmenskonzentration in der Schweiz» hat Alexander Glatthart vor einigen Jahren einen solchen Versuch unternommen, indem er sich an der allgemeinen Systematik der Wirtschaftsklassen von 1965 orientierte. Die Untersuchung von Glatthart erlaubt Aussagen über den Grad der Unternehmenskonzentration im industriellen Sektor in den Jahren 1929, 1939, 1965 und 1975. Wir fassen die Hauptresultate dieser interessanten Arbeit in einer separaten Tabelle zusammen.
Eine weitere Tabelle erteilt Auskunft über die Zahl der Betriebe und der Beschäftigten in den Jahren 1905, 1929, 1939, 1955 und 1965. Wiederum weisen wir bei der Textilindustrie die Ergebnisse auch für die wichtigeren Subbranchen aus. Darüber hinaus drängte sich eine Unterteilung der Branchenstatistik nach der Stellung der Beschäftigten im Betrieb auf. Im übrigen sind die gewerblichen Betriebszählungen in diesem Kapitel weit weniger prominent vertreten als die Fabrikstatistiken. Dies nicht etwa, weil wir die Resultate der gewerblichen Betriebszählungen für weniger zuverlässig halten würden als diejenigen der Fabrikstatistiken. Abgesehen davon, dass die Hauptresultate der gewerblichen Betriebszählungen zwischen 1905 und 1985 im Kapitel «Beschäftigung» abgedruckt sind, ist unsere tendenzielle Bevorzugung der Fabrikstatistiken vor allem dem Umstand zuzuschreiben, dass zwischen 1895 und 1955 im Durchschnitt alle sieben bis acht Jahre eine Grosserhebung zum Bestand der Fabriken und des Fabrikpersonals stattgefunden hat, während die Abstände zwischen zwei gewerblichen Betriebszählungen im gleichen Zeitraum ein bis zweieinhalb Jahrzehnte betragen haben.
Die letzte Doppelseite dieses Kapitels ist der schweizerischen Heimindustrie gewidmet. Die Datenlage ist hier höchst unbefriedigend: Quantitative Quellen, die sich auf das frühe und fortgeschrittene 19. Jahrhundert beziehen, gibt es kaum, und die retrospektiv vorgenommenen Schätzungen gehen nicht weiter zurück als bis zum Jahr 1880. Die erste grössere amtliche Enquete fiel mit der gewerblichen Betriebszählung von 1905 zusammen; weitere Erhebungen erfolgten anlässlich der Volkszählungen von 1910 und 1920 und der Betriebszählungen von 1929, 1939 und 1955. Ursprünglich war es unsere Absicht, auch bei der Heimindustrie eine sich über mehrere Zählungen erstreckende kantonal gegliederte Statistik der in den Branchen des Zweiten Sektors beschäftigten Personen anzufertigen. Da jedoch die Fabrikstatistik erst 1929, zu einem Zeitpunkt also, als die Heimindustrie fast überall in der Schweiz nur noch eine gänzlich untergeordnete Rolle spielte, detaillierte Angaben über das hausindustriell beschäftigte Personal macht, haben wir uns darauf beschränkt, bei der gewerblichen Betriebszählung von 1905 und bei der Volkszählung von 1910 eine Feinauswertung des Zahlenmaterials vorzunehmen.
QUELLE: «Industrie und Gewerbe» in Ritzmann/Siegenthaler, Historische Statistik der Schweiz, Zürich: Chronos, 1996, 603-610